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Neues aus Dorpat
In der kleinen Reihe "Der Besondere Beleg" möchte ich Ihnen heute aus Dorpat berichten, genauer vom Kaiserlich Deutschen Zivilpostamt. Wer sich näher informieren möchte, nehme gerne die EESSTI POST Nr.36/2003 und 38/2004 zur Hand, die ihm alles Wissenswerte zur sogenannten "Notausgabe Dorpat" liefern.
Alles Wissenswerte? Zum Glück nicht, denn es gibt Neues zu berichten. Bild 1 und 2 zeigen Ihnen Vorder-
Zunächst fällt auf, dass die Ganzsache keinerlei postalische Vermerke trägt, mit einer Ausnahme: dem handschriftlichen Namenskürzel "B St" in Blei. Wer sich zwischenzeitlich die beiden oben angeführten Ausgaben der EESTI POST vor Augen geführt hat, wird in dem Namenskürzel eine der bekannten "Postmusen", alias Zensoren (weiblich), des Zivilpostamtes in Dorpat wieder erkennen, nämlich Brigitta Freiin von Stackelberg, geboren am 20.04.1898 in Sillamäggi und verstorben am 10.02.1933 in Kassel.
Wenden wir uns nun der Rückseite zu, deren Text der besseren Lesbarkeit halber im Folgenden übertragen sei:
"Lieber Tryne! Am 24. Februar 1918 zogen die ersten deutschen Soldaten in unsere Stadt ein, die unversehrt geblieben ist dank dessen, dass das bis dahin disformiert gewesene estnische Bataillon schon drei Tage vorher die maximalistischen (bolschewistischen, Red.) Machthaber gestürzt hatte. Die Universität hat ununterbrochen functioniert und arbeitet auch eben nach alter Art weiter. Am 26. Februar wurde ich im Conseil der Universität, auf Vorschlag der med. Facultät, zum Professor ordinarius gewählt. Wir alle sind gesund und hoffen auch, dass Ihr bei gutem Wohlbefinden seid. Mit besten Grüßen Dein Sascha Paldrock
Dorpat 2 III.1918".
In wenigen Zeilen erhalten wir einen Einblick in die estnische und Stadtgeschichte Dorpats, der die vorliegende Ganzsache zu einem Kleinod der Philatelie macht:
21.02.1918: Vertreibung des bolschewischischen Rates der Stadt durch ein zuvor demobilisiertes "weißes" estnisches Bataillon
24.02.1918: Kampflose Bestzung Dorpats durch deutsche Truppen, s. Bild 3
26.02.1918: Wahl Dr. Paldrocks zum Professor ordinarius der medizinischen Fakultät der Universität Dorpat
02.03.1918: Prof. Paldrock schreibt an seinen Kollegen Dr. Jokinen an der Universität Helsinki.
Die Notausgabe Dorpat erschien nachweislich am 5.März 1918. Die vorliegende Ganzsache liefert den Nachweis, dass sie bereits drei Tage früher, am 2.März, dem Publikum zugänglich war. Ebenso wurde sie zensiert von einer der bekannten Zensoren des Zivilpostamtes. Da sie keine weiteren postalischen Vermerke trägt, kann man nur vermuten, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt unter Umschlag ihren Weg nach Helsinki angetreten hat.
Aleksander (Sascha) Paldrock wurde am 16.05.1871 in Tartu geboren und verstarb am 01.07.1941 in Kuressaare. Professor Paldrock war übrigens nicht nur Mediziner und Dozent an der Universität Dorpat. Wir kennen ihn bis in die dreißiger Jahre als überaus aktiven und wohlbetuchten Philatelisten, dem wir dank seines heißen Drahtes zur jeweiligen Postverwaltung einige überaus seltene und schöne Stücke der estnischen Philatelie verdanken, doch darüber an anderer Stelle.